HBK Braunschweig, 27.05.2016
Unter dem Begriff “Video-Essays” versteht man im Allgemeinen eine Form der Filmanalyse, die nicht mehr allein den geschriebenen Text verwendet, sondern mit den Bildern des zu analysierenden Gegenstandes das Ergebnis formuliert.
Nachfolgenden finden Sie die Abstracts der Vorträge, die kompletten Fassungen können hier als pdf heruntergeladen werden: Workshop
Volker Pantenburg: Zur Historisierung des Video Essays
Die aktuellen Diskussionen über den „Video-Essay“ erwecken oft den Anschein, das Phänomen sei aus der Begegnung von sozialen Netzwerken, erschwinglicher Schnittsoftware und populären Plattformen wie YouTube oder vimeo entstanden. Wenn eine historische Herleitung erfolgt, so werden meist entweder essayistische Film- und Videopraktiken à la Chris Marker und Jean-Luc Godard oder Found Footage-Montagen aus der Experimentalfilmgeschichte bemüht.
Demgegenüber soll mein kurzer Impuls zeigen, dass gerade an den Rändern der Filmgeschichte, außerhalb der kanonisierten Bezirke der Kunst und in Zusammenhängen, die lange vor Internet und social media existierten (etwa in Fernsehredaktionen oder filmpädagogischen Initiativen) bereits seit Jahrzehnten wichtige Vermittlungs- und Reflexionsarbeit geleistet wurde. Die videographic film studies haben eine Vorgeschichte, die sich nicht nur als Institutionen- oder Mediengeschichte erzählen lässt, sondern auch als Geschichte der Kommentierungspraktiken oder Montagetechniken. Die Betonung der künstlerischen und experimentellen Hintergründe des Genres verengt den Blick unnötig. Es gab und gibt viel zu entdecken.
Chris Wahl: Richard Misek, der erste peer-reviewed video essay und die Zukunft des Formats
Der wahrscheinlich erste Video-Essay, der jemals in einem peer-reviewed journal veröffentlicht wurde, war Mapping Rohmer von Richard Misek, erschienen 2012 in einem von Catherine Grant herausgegebenen Special Issue von Frames: http://framescinemajournal.com/article/mapping-rohmer-a-video-essay/
Misek arbeitete weiter an dem Essay, der sich 2013 zu dem ca. einstündigen Film Rohmer in Paris entwickelt hatte und auf mehreren internationalen Festivals zu sehen war. Auf der Basis eines Interviews, das ich mit Richard Misek geführt habe, möchte ich ihn und seine Arbeit vorstellen sowie ein paar allgemeine Gedanken zum Thema Video-Essay entwickeln.
Winfried Pauleit: Transformationen der Wissenschaftskultur: Ästhetisierung, Mediatisierung, Diversifizierung
Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist es, spezifische zeitgenössische Transformationen in der Wissenschaftskultur zu beschreiben. Diese zeigen sich insbesondere in der Wissenschaftspraxis. Sie lassen sich als Ästhetisierung, Mediatisierung und Diversifizierung genauer fassen. Ästhetisierung meint hier die Aufwertung des Bildlichen und Audio-Visuellen in der Wissenschaftspraxis, die darin einerseits tragende Elemente der Erkenntnisproduktion sein können, andererseits aber nur als Supplement angehängt sind und als Faszinationsmittel dienen. Mediatisierung meint in diesem Zusammenhang Transformationen des kommunikativen Handelns in der Wissenschaftskultur, die wiederum Ästhetisierungsprozessen – im Sinne einer verstärkten Nutzung des Audio-Visuellen – Vorschub leisten können. Diversifizierung lässt sich in diesem Kontext als Ausprägung unterschiedlicher Präsentationsformen fassen. Diesen Transformationen steht ein Festhalten am Buch in der wissenschaftlichen Publikationstätigkeit gegenüber, insbesondere in den Geisteswissenschaften.
Auffällig ist in diesem Kontext, dass sich Fächer wie Medien-, Kultur- oder Filmwissenschaft in dieser Hinsicht kaum anders verhalten und die eigene Publikationspraxis selten in Bezug auf ihre Medialität reflektieren, wo doch Fragen der Ästhetisierung, Mediatisierung und Diversifizierung von Kultur zu ihrem Forschungsbereich zählen …
Michael Baute: Filmkommentierende Video-Essays in Seminaren produzieren. Ein Praxisreport
Michael Baute unterrichtet seit einigen Jahren an verschiedenen Hochschulen die Praxis des Video-Essays und hat dabei mit den Studierenden eine ganz eigene Form gefunden. Auf dem Vimeo-Kanal von Michael Baute finden sich ausgewählte Video-Essays, die von Studierenden in Seminaren produziert worden sind.
Robin Curtis: Affekt und Skizze: Videoessay und Rezeption
Das, was sich in den letzten Jahren im Rahmen von Internetzeitschriften wie [in]Transition (ein Projekt der amerikanischen Society of Cinema and Media Studies) oder Fandors Keyframe (eine Seite für Filmfans) als „Videoessay“ etabliert hat, nimmt ganz unterschiedliche Formen an. Dennoch wurden die möglichen Parameter des Formats relativ schnell festgelegt: mal mit, mal ohne Kommentar werden in der Regel Vergleiche anhand der Kontiguität der Montage plastisch gemacht. Somit werden Video-Essays als die (mehr oder weniger wissenschaftlich orientierten) Erben des Essay-Films verstanden.
In meinem Beitrag möchte ich diese Kontextualisierung von Video-Essays erweitern, indem ich die Dokumentation nicht nur von Struktur sondern auch von Affekt mit in diese Diskussion einbeziehe. Inwiefern sind Video-Essays mit der kunsthistorischen Praxis der Skizze verwandt, die für viele Generationen von Beobachtenden das Festhalten von ästhetischen Eigenschaften ermöglicht hat? Welche Rolle spielt die Rezeption von Filmen und anderen Bewegtbildern für Videoessays?